Urlaub im Hotel

26. Sep 2022

„César, was ist denn das hier für ein Geschrei?“

„Das ist kein Geschrei, sondern ein Notruf!“

„Was denn für ein Notruf? Dafür gibt es überhaupt keinen Grund. Und wen willst Du denn rufen?“

„Bandito und ich wurden von Euch beiden auf völlig verantwortungslose Weise in einer fremden Umgebung auf unbestimmte Dauer allein gelassen. Wir sind der Gefahr des Erfrierens, des Verhungerns und der Vereinsamung ausgesetzt. Außerdem könnte es passieren, dass wir platzen.“

„Platzen?“

„Ja, unsere Blase hätte platzen können, wenn Ihr uns nicht in letzter Minute gerettet hättet. Deshalb wollten wir uns bei der Hoteldirektion beschweren, und zwar lautstark.“

„Also, hört einmal, Ihr beiden, Ihr übertreibt wieder einmal maßlos. Papa hat Euch beide heute Morgen vor die Tür gebracht, damit Ihr in Ruhe Eure Geschäfte erledigen, Eure E-Mails lesen und darauf antworten könnt. Die Gefahr des Platzens dürfte damit schon einmal gebannt sein.“

„Und danach habt Ihr uns allein gelassen.“

„Ja, weil wir im Urlaub zusammen frühstücken wollten. Das dauert ja schließlich nicht so lange.“

„Und warum durften wir nicht dabei sein? Stattdessen habt Ihr uns ohne ein Wort der Begründung im Zimmer eingesperrt, wo wir vor Vereinsamung, Kälte und Hunger fast gestorben wären!“

„Hunde dürfen nun einmal nicht mit in den Frühstücksraum, das ist in jedem Hotel so. Deswegen haben wir Euch für weniger als eine halbe Stunde im Zimmer gelassen. Ihr seid zu zweit, Eure Geschäfte hattet Ihr erledigt, das Zimmer ist warm und einen Snack hattet Ihr vorher auch bekommen. Es gibt also keinen Grund zur Beschwerde.“

„Doch, wir hätten uns nützlich machen können.“

„Inwiefern?“

„Wir haben gehört, dass das Hotel viel zu wenig Personal hat. Es fehlt an allen Ecken und Enden, vor allen Dingen im Frühstücksraum. Dort hätten wir gerne einspringen können. Immerhin hat Papa ja auch seine Hilfe angeboten, nicht? Warum darf er das und wir nicht?“

„Aha, so langsam ahne ich etwas…“

„Wir hätten uns z. B. in der Qualitätskontrolle und bei der Abfallverwertung oder auch in der Essensausgabe betätigen können. Schließlich sind wir Arbeitshunde. Stattdessen wird unsere wertvolle, dringend benötigte Arbeitskraft unbeachtet ins Zimmer gesperrt. Ressourcenverschwendung nennen wir das.“

„Es tut uns furchtbar leid, dass Ihr untätig im Zimmer herumsitzen musstet, während das hoffnungslos überforderte Hotelpersonal nicht mehr weiß, wo ihm der Kopf steht.“

„Wir können das ja ab jetzt ändern. Papa kann mit der Hoteldirektion sprechen, damit die uns beschäftigen. Wir haben gehört, dass Papa einen guten Draht zu den Besitzern hat. Sie kommen wohl aus demselben Land.“

„Auch das wird nicht gehen. Hunde dürfen in Hotels weder in den Frühstücksraum noch in die Küche.“

„Das macht doch nichts. Dann kann die Hoteldirektion uns unsere Arbeit aufs Zimmer bringen. Wir erledigen das dann eben von hier aus. Ihr Menschen nennt das ‚Heimarbeit‘ oder ‚Homeoffice‘. Und das führen wir im Hotel auch ein und lösen damit das Personalproblem.“

„Ich kann mir lebhaft vorstellen, welche Art von ‚Arbeit‘ Euch da so vorschwebt…“

„Ja, z.B. Arbeit in der Küche, um die Köchin zu überwachen. Das allein ist schon eine Frage der Sicherheit zur Gewährleistung unseres Überlebens.“

„Warum das denn nun schon wieder?“

„Es besteht durchaus die Gefahr, dass die uns sonst brät, frittiert oder sonst wie zubereitet, den Gästen serviert oder uns selber aufisst, wenn wir sie nicht überwachen.“

„Jetzt übertreibst Du aber maßlos…“

„Von wegen! Hast Du noch nie etwas von ‚Hotdog‘ gehört? Das sind in Wirklichkeit kleine Rateros, die man aus Hotelzimmern entführt hat, weil ihre Menschen sie dort allein gelassen haben. Die Hotelköche braten sie dann und servieren sie den anderen Hotelgästen.“

„Als Hotdogs? – Ich wette, Ihr würdet Euch das nicht gefallen lassen…“

„Wo denkst Du hin? Wir würden unsererseits die Köchin zu einem Sandwich ‚Croque Madame‘ verarbeiten, hast Du gesehen, wie dick sie ist? Das wäre ein richtig gutes Geschäft für uns!“

„Meine Güte, César, so kenne ich Dich ja gar nicht! Blamiere uns bloß nicht im Hotel, sonst vermieten die uns hier nie wieder ein Zimmer und melden uns außerdem noch bei der Vermittlungsplattform!“

„Ist doch ganz einfach: Ihr nehmt uns zu Eurem nächsten Restaurantbesuch mit, zeigt uns die Karte, lasst uns alles durchprobieren und wir geben Euch dann unseren fachkundigen Rat, was Ihr für Euch selbst bestellen sollt. Das Ganze dauert nur ein bisschen, aber auf jeden Fall deutlich weniger lange als Euer langweiliges Frühstück ohne unsere liebenswerte Gesellschaft.“

„Ich bin sehr skeptisch, ob das Restaurant DAS akzeptiert… Abgesehen einmal von den Kosten für uns, wenn wir die ganze Karte von oben bis unten durchbestellen müssen…“

„Was meint Ihr, wie teuer es für Euch wird, wenn wir das Projekt ‚Coque Madame‘ durchziehen…“

Auch lesenswert …

Das Senfei

Das Senfei

Ist die Leber eines Hundes genauso leistungsfähig wie die eines Menschen und falls nicht, wie könnte man sie trainieren…?

mehr lesen
Vogelschutz nach Ratero-Art

Vogelschutz nach Ratero-Art

César und Bandito haben einen Werkvertrag mit den Vögeln abgeschlossen. Ihr Futter und ihre Interessen müssen geschützt werden. Um wessen Interessen geht es hier eigentlich in Wirklichkeit?

mehr lesen

Pin It on Pinterest

Share This